Plastik im Labor

Plastikmüll im Laborbetrieb – keine Selbstverständlichkeit mehr

Auf einen Schwung landen hundert und mehr durchsichtige Spitzen von Pipetten im Mülleimer. Sie werden gefolgt von blauen Einweghandschuhen. Auch ungefähr 20 Petrischalen aus Polystyrol landen im Müll. Sie wurden gerade ein einziges mal zum Züchten von Zellkulturen verwendet, und schon werden sie nicht mehr benötigt. Ein solcher Verbrauch ist im Labor an der Tagesordnung. Die Mitarbeiter bestätigen, dass sehr viel Plastikmüll anfällt.

Müll entsteht überall, und gerade deshalb wird er zum Problem. Auch in Laboren und Forschungseinrichtungen ist er nicht immer zu rechtfertigen. Ein allgemeines Umdenken hat stattgefunden, seitdem Plastiktüten an Supermarktkassen nicht mehr kostenlos ausgegeben wurden und seitdem die EU die Verwendung von Einweggeschirr und Strohhalmen sanktioniert hat. Mit hoher Medienwirksamkeit startet das Ocean-Cleanup-Projekt im Pazifik. Dieser Entwicklung kann und will sich auch die Wissenschaft nicht verschließen.

Im Jahr 2014 wurden in allen biologischen, agrarwissenschaftlichen und medizinischen Laboren weltweit etwa 5,5 Millionen Tonnen Plastikmüll verursacht, so schätzte das Studienteam um Mauricio Urbina, einen chilenischen Tierphysiologen an der University of Exeter schon 2015. Dabei handelt es sich um knapp zwei Prozent der weltweiten Plastikproduktion, das Gewicht entspricht ungefähr dem von 67 Kreuzfahrtschiffen. Die Wissenschaftler formulierten ihre Erkenntnis in einem Brief an die Fachzeitschrift Nature wie folgt: „Alle verantwortungsvoll Forschenden sollten ihre Verwendung von Einweg-Plastikprodukten drastisch reduzieren.“ Was hat sich seitdem verändert?

Keine Erfassung des Plastikverbrauchs in deutschen Laboren

Da der Verbrauch von Plastik in Laboren statistisch nicht erfasst wird und es keine obligatorischen Strategien zur Eindämmung von Plastikmüll in der Wissenschaft gibt, können nur schwer Aussagen getroffen werden. Seit 2016 beschäftigt sich in Deutschland die freiwillige Initiative Hoch-N mit der nachhaltigen Entwicklung an Hochschulen und Universitäten. Zu ihren Zielen zählen weniger Plastikmüll und umweltfreundlichere Labore.

Hoch-N schlägt den teilnehmenden Institutionen vor, die Plastikprodukte in ihren Labors durch Glaswaren zu ersetzen. Verpackungsmüll könne auch bei Großeinkäufen gespart werden. Auch bei der Auswahl der Lieferanten kann sehr häufig auf Nachhaltigkeit geachet werden. Bisher engagieren sich nur 16 der 426 deutschen Universitäten und Hochschulen institutionell bei der Hoch-N Initiative. Darunter finden sich die Universität Bremen, die Technische Universität dresden, die Hochschule für nachhaltige Entwicklung in Eberswalde und die Freie Universität Berlin. Mit im Netzwerk aktiv sind zusätzlich viele Einzelpersonen anderer Hochschulen und Universitäten.

Auch im Ausland findet der Plastikverbrauch von Forschungseinrichtungen zunehmend Beachtung. So genannte Green-Lab-Programme zur umweltfreundlicheren Gestaltung von Laborprozessen wurden von der University of Boulder in Colorado, von der Harvard University und von der University of Washington etabliert. Bis 2024 will das University College London sogar sämtliche Plastikprodukte von seinem Campus verbannen. Dazu zählen alle Laborutensilien aus Plastik wie Probengefäße, Pipettenspitzen und Petrischalen. Vorreiter hierfür ist die University of Leeds, die sich der Plastikfreiheit zum Jahr 2023 verschrieben hat.

Kerstin Hermuth-Kleinschmidt aus Freiburg ist promovierte Chemikerin und berät Labore bei der Gestaltung ihrer Nachhaltigkeit. Neben der Vermeidung von Plastikmüll spielt für sie auch die Energiebilanz der Geräte und Gebäude eine große Rolle. Ihrer Meinung nach kann die Forschung bislang nicht komplett plastikfrei arbeiten, da man nicht in allen Experimenten auf den Einsatz von Plastik verzichten könne.

Nicht jeder Laborversuch muss steril ablaufen

In der DNA-Analytik wird mit kleinsten Abschnitten von Erbgut gearbeitet – hier ruinieren bereits kleinste Verunreinigungen das ganze Experiment. Alle verwendeten Materialien müssen absolut frei von bestimmten Enzymen und von fremder DNA sein. Dafür reicht die herkömmliche Sterilisation mit einem Autoklaven, wie er in vielen Laboren zu finden ist, nicht aus. Bei mehrfach verwendeten Utensilien aus Glas könnten kleine Menschen von Fremd-DNA das gesamte Ergebnis verfälschen. „In Versuchen, bei denen absolute Sterilität notwendig ist, kann Plastik kaum durch Glas ersetzt werden“, so Kerstin Hermuth-Kleinschmidt. In der Mikro- und Molekularbiologie ist dies sehr häufig der Fall.

Kunststoff ist kaum zu ersetzen, wenn die vollkommene Sterilität wichtig ist

Zellkulturen wachsen am besten auf Oberflächen aus Plastik. Deshalb ist es laut Kerstin Hermuth-Kleinschmidt schwierig, effektive Zellkulturplatten aus anderen Materialien zu finden. „Polystyrol ist besonders gut für das Wachstum von Knochenzellen geeignet“, führt sie aus. Die Zellzüchtung ist inzwischen auf Kunststoffoberflächen spezialisiert, an denen die Zellen besser anhaften können.

Viele Laborzulieferer verkaufen spezielle Produkte grundsätzlich in einzelnen Verpackungen. Dazu zählen feinporige Membranfilter für Spurenelemente und Vitaminzusätze. Bakterielle Kontaminationen können so vermieden werden. Die Zusätze werden für das Wachstum von Mikroorganismen benötigt und finden sich darum in vielen Nährmedien. Die Reinigung im Autoklaven bei 121 Grad Celsius würden diese Nährstoffe nicht überstehen.

Nährmedien ohne hitzesensible Zusätze können jedoch problemlos im Autoklaven von bakteriellen Verunreinigungen gesäubert werden. Kerstin Hermuth-Kleinschmidt betont, dass nicht alle Versuche zu 100 Prozent steril ablaufen müssten. Manche Gefäße und Pipetten aus Glas oder Kunststoff könnten deshalb gespült oder gereinigt und mehrfach verwendet werden.

Sehr häufig wird Laborbedarf aus reinen Kunststoffen wie High-Density Polyethylen oder Polypropylen gefertigt. Diese lassen sich fachgerecht sehr gut recyceln, und viele Kontaminationen können ausgeschlossen werden. „Dennoch werden viele dieser Gerätschaften einfach mit dem Restmüll entsorgt und verbrannt“, führt Kerstin Hermuth-Kleinschmidt aus.

Umweltfreundliche Nachfüllpackungen und Pipetten sind im Kommen

Gesammelt und recycelt werden können zum Beispiel Einweghandschuhe aus Nitril. Ein erster Hersteller aus den USA, dessen Produkte auch in Deutschland erhältlich sind, bietet bereits eine Rücknahme gebrauchter Hanschuhe an. Sie werden zu Pellets verarbeitet und zur Produktion von Transportkisten und Gartenmöbeln verwendet. „Dabei handelt es sich um so genanntes Downcycling“, erklärt Kerstin Hermuth-Kleinschmidt. Dies sei aber in jedem Fall besser als eine Entsorgung über den Müll. Die meisten Labormitarbeiter verwenden mehrere Paare der Handschuhe pro Tag.

Weitere Hersteller von Laborutensilien arbeiten bereits daran, Produkte zu entwickeln, die einen geringeren Plastikverbrauch ermöglichen. So werden Pipettenspitzen aus dünnwandigem Polypropylen gefertigt und an der Entwicklung von Nachfüllsystemen getüftelt. Viele Verpackungen kommen bereits kunststofffrei aus. Ein deutsches Unternehmen bietet Isolierboxen an, die aus Stroh gefertigt sind. Sie können die herkömmlichen Transportboxen für temperaturempfindliche Substanzen und Enzyme ersetzen. So kann bei gleichbleibender Qualiät auf zunehmend immer mehr Plastik verzichtet werden, auch wenn es bislang nur vereinzelte Anbieter für umweltfreundliche Alternativen gibt.

Viele Laborutensilien des Alltagsbedarfs werden nach wie vor in der traditionellen Glasvariante gehandelt. Dazu zählen Petrischalen und Erlenmeyerkolben. Zwar ist deren Sterilisation aufwändig und verbraucht Wasser und Energie, die Artikel sind dadurch aber wiederholt verwendbar.

„Nicht alles ist im Laborbetrieb lösbar oder ersetzbar“, führt Kerstin Hermuth-Kleinschmit aus. „Untersucht man die einzelnen Prozesse genau, so findet man jedoch viele Möglichkeiten, den Plastikmüll deutlich zu reduzieren.“ Auch wenn es nicht möglich sein wird, in den Lebenswissenschaften komplett auf Plastik zu verzichten, so ist das Einsparpotenzial doch enorm.

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